Oben auf der Welle. Von Stefanie Stadel. DIE WELT Diango Hernándes kam vor über zehn Jahren mit 5000 Zeichnungen aus Kuba nach Düsseldorf. Ein entspannter Einzelkämpfer, der jetzt zum Star der Kunstszene wird

Sie ziehen sich an den Wänden entlang und versetzen ganze Räume in wogende Bewegung – gemalte Wellen, wohin man sieht. Von den Decken hängen vielarmige Leuchter, die statt der normalen Glühbirnen exotische Apfelsinen tragen. Man begegnet Palmblättern hinter Plexiglas und Regalbrettern, die sich – mit Sand paniert und von Muscheln besetzt – in Sandbänke verwandeln. Der Künstler Diango Hernández hat seinen großen Einzelauftritt in Leverkusen dazu genutzt, karibisches Strandfeeling ins barocke Museums-Schlösschen zu zaubern. “Theoretical Beach” nennt er das Projekt. Hinter dem Strandzauber jedoch verbirgt sich die Aufarbeitung seines Lebens auf Kuba.

Die Ausstellungseröffnung im Museum Morsbroich liegt erst ein paar Tage zurück, als man den Künstler trifft – zufrieden in seinem großen aufgeräumten Atelier nicht weit vom Düsseldorfer Medienhafen. Auch die S-Bahnlinie direkt vor dem Fenster kann seiner tief entspannten Stimmung nichts anhaben. Seit fast zehn Jahren arbeitet der Künstler nun hier. Mit Umwegen über Italien und Spanien war der 1970 geborene Kubaner nach Düsseldorf gekommen, wo seine Karriere rasante Fahrt aufnahm. Eine Erfolgsgeschichte, wie man sie gerade in diesen Tagen gerne erzählt – vom Fremden, der seinen Weg macht. Inzwischen ist Hernández gut angekommen in den wichtigen Museen, bei den großen internationalen Galerien, auf den entscheidenden Messen. 2014 stattete er gar das Trainerhaus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien mit Kunst aus.

Bei all der internationalen Präsenz könnte einen die Ruhe und Beschaulichkeit in den vier Atelierwänden verwundern. Wie es scheint, hat Hernández es bis heute geschafft, sich den Produktionszwängen des aktuellen Kunstbetriebs zu entziehen. Noch immer arbeitet er hier ganz ohne Assistenten. Er glaube nicht an die “ultrakapitalistische” Sicht der Arbeit. “Ich tue, was ich allein tun kann”, erklärt der Künstler. Mit Helfern könnte er mehr produzieren, doch das sei nicht sein Traum.

Der bewusst begrenzte Output ist wohl auch Schuld daran, dass im Atelier derzeit nicht viel von seiner Kunst zu sehen ist. Die meisten Werke sind unterwegs. Nur ein paar der neuerdings so gern gemalten Wellen erkennt man wieder – von Hernández verewigt auf kleinen, durchaus marktgerechten Leinwänden. Der Künstler selbst hat es sich inzwischen im grünen Ledersessel gemütlich gemacht. Sein Outfit passt zur Haltung: weiter Pulli, lässige Hose aus Sweatshirt-Stoff, ein überwiegend grauer Vollbart und das zum modischen Dutt verknotete Kopfhaar. Hernández nimmt sich viel Zeit, und er hat noch mehr zu erzählen. Über Kuba und die eigene Kindheit. Über die Revolution und Fidel Castro, über das Künstlerdasein einst dort und jetzt hier.

Wer Hernández nur ein wenig kennt, der weiß, dass hinter seiner relaxten Strand-Inszenierung auf Schloss Morsbroich jede Menge mehr steckt. Und gespannt hört man zu, wenn er nun seine schier unendlichen Geschichten erzählt, die unterschiedlichen Bedeutungsebenen auffächert. So sind auch die Wellen an den Wänden im Schloss nicht bloß Wellen, sie sind Bild gewordene Sprache. Der Künstler hat Auszüge einer wichtigen Rede von Fidel Castro transkribiert. Und damit in Leverkusen ganze Räume vollgemalt, um so die einstige Allgegenwart des Máximo Liders klar zu machen: eine nicht endende revolutionäre Redeflut, die sich per Radio und Fernsehen auf allen Kanälen übers ganze Land ergoss.

Kuba sei in eine andere, unbekannte Gesellschaftsform bewegt worden – und dies vor allem durch diese Reden, so Hernández. “Wir wuchsen auf mit der Idee vom Zuhören und mit dieser Stimme, sie war immer da und hat uns erzählt, was wir tun sollten.” Wie eine Vaterfigur habe Castro auf die Leute gewirkt, auch wenn ihn viele nie zu Gesicht bekommen hätten.

Die Ausstellung im Museum Morsbroich profitiert ganz besonders von Hernández’ Stärke, beides zusammenzubringen: Zum einen kann man sich wohlfühlen, Gefallen finden am positiv besetzten Ambiente und an der Poesie der Requisiten, die der Künstler im Schloss ausbreitet. Daneben öffnet Hernández aber auch etliche Möglichkeiten, sich verstricken zu lassen in seine Geschichten. Auch wenn die Mittel sich wandeln, so schöpft der Künstler doch nach wie vor aus der eigenen Vergangenheit im kommunistischen Kuba, das er durchaus als Diktatur erlebt habe. Man könnte Kritik erwarten, eine Abrechnung vielleicht. Aber das ist nicht seine Sache. Er sei kein politischer Mensch, kein politischer Künstler, und er liebe sein Heimatland.

Trotzdem entschloss sich der Künstler mit 33 Jahren dazu, Kuba zu verlassen. Ein Riesenschritt ins Unbekannte. “Nehmen wir zum Beispiel die Banken – hier sind sie alles, in Kuba haben sie dagegen kaum Bedeutung”, so Hernández. “Ich hatte nie ein Konto, trug mein Geld einfach in der Hosentasche bei mir.” Auch so etwas wie einen Kunstmarkt habe er nicht gekannt – kein Sammler sei ihm in Kuba je über den Weg gelaufen. Über Jahre zeichnete er Tag für Tag. Doch was nützt es einem, wenn sich niemand für die Ergebnisse interessiert? Publikum, Resonanz, Austausch – alles, was er in Kuba vermisste, hoffte Hernández in Europa zu finden und zog los, im Gepäck 5000 Zeichnungen. Die Rechnung ging auf: Bereits 2003 landete er mit seinen Blättern aus der Heimat in einer Kölner Galerie. Während die kubanischen Kollegen ihr Glück eher in den Vereinigten Staaten oder Spanien suchen, fand Hernández es im Rheinland. Auch dank Anne Pöhlmann, die noch an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, als er sie kennenlernte. Noch heute sind die beiden ein Paar und sich einig, wenn es um die Vorzüge des Rheinlands geht: Die Vitalität der hiesigen Kunstszene, die Offenheit der Menschen.

Mehr und mehr hat sich der “Theoretical Beach” an diesem Vormittag mit Bedeutung gefüllt. Auf den vertrackten Ausstellungstitel angesprochen, erinnert Hernández noch einmal an wunderschöne Kindertage, die er im Heimatort des Vaters an der kubanischen Küste verbrachte. Ein durch und durch positives Erlebnis, das in seiner Arbeit für Leverkusen lebendig werden soll. Dabei ist längst klar, dass der Strand in Morsbroich für mehr steht. Es ist ein Ort der Begegnung, an dem Fremdes zueinander findet. So wie damals in seiner Heimat. In Leverkusen treffen karibische Exotik auf ein barockes Jagdschlösschen, kommunistische Reden auf ein feudales Ambiente. Dabei entfalten sie ihre ganz eigene Wirkung – einnehmend und erbaulich zugleich.

Bis 28. August; Museum Schloss Morsbroich Leverkusen

source: DIE WELT

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